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Pierrot L. in New York

5. Mai um 11:00 12:30

Schönebecker Straße 129
Magdeburg, 39104

Das neu gegründete Ensemble für zeitgenössische Musik Sachsen-Anhalt widmet sich Werken von Schönberg u. a.  

Undine Dreißig, Gesang

Ensemble für Zeitgenössische Musik Sachsen-Anhalt:

Karoline Schulz, Flöte
Georg Wettin, Klarinette
Uta-Maria Lempert, Violine
Marcel Körner, Violoncello
Ronald Vitzthum, Kontrabass
Jan Michael Horstmann, Klavier


Pierrot (Foto: Alex Renko / Adobe Stock)

Undine Dreissig (Foto: Viktoria Kühne)

Programm

André Caplet
Ecoute mon cur (Rabindranath Tagore)

Henry Cowell
Banshee

John Cage
Fünf

Cathy Berber
Stripsody

Johann Strauß
Walzer „Wiener Blut“

P A U S E

Charles Ives
Largo

Morton Feldman
Stimme und Instrument II

John Cage
Wassermusik

Arnold Schönberg
1.Teil und Abschluss aus „Pierrot lunaire“ op.21 (Albert Giraud/ Otto Erich Hartleben)

Veranstaltungsort

Schönebecker Straße 129
Magdeburg, 39104

Die Gattung des Melodram, also des gesprochenen Wortes über oder im Wechsel mit Musik erreicht – nach einer Hochblüte zur Georg Bendas im 18. und einigen spärlichen Versuchen im 19.Jahrhundert – eine neue Entwicklungsstufe, als Engelbert Humperdinck 1895 die Erstfassung seiner „Königskinder“ für sprechende Darsteller mit Orchesterbegleitung schreibt und hierfür eine neue Notationsweise des rhythmischen und melodischen Sprechens entwickelt, die den Text viel stärker in das gesamte musikalische Geschehen einbettet. Zwar ist der Erfolg mäßig, zu wenig können die Schauspieler das große Orchester übertönen geschweige denn einen natürlichen Sprachduktus finden, woraufhin Humperdinck letztlich das Werk doch für Sänger überarbeitet. Der Samen ist jedoch gesät, die Notierbarkeit eines sogenannten „gebundenen Melodrams“ verführt die Komponisten des beginnenden 20.Jahrhunderts, sich immer häufiger dieser Ausdrucksweise zu widmen.

Arnold Schönberg, dessen 150.Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, hat sich zeitlebens dieser Kunstform genähert, hat die Notationsmöglichkeiten immer wieder weiterentwickelt und hinterfragt, von den frühen „Gurre-Liedern“ über die Oper „Moses und Aron“ und dem beklemmenden Bericht des „Überlebenden aus Warschau“ bis hin zu seinen späten Skizzen zum Psalm 130 gibt es zahlreiche Beispiele von Sprechgesang in den unterschiedlichsten Notationen.

Eine zentrale Rolle hierfür wie überhaupt für die Entwicklung von der tonal gebundenen Musik bis zur Zwölftontechnik bildet sein „Pierrot lunaire“. Die „21 Miniaturen für Stimme, Instrumente und Klavier“ werden zunächst durch Kreuze statt Notenköpfen in der Stimme notiert. Dies scheint dem Komponisten allerdings zu vage bezüglich der Tonhöhen, sodass er im Erstdruck wieder richtige Notenköpfe verlangt, deren Hälse jedoch – mit Ausnahme weniger wirklich gesungener Passagen – mit einem Kreuz versehen werden. Die Anweisungen Schönbergs zur Ausführung sind so vielfältig, ja gar voller Widersprüche, dass jede Künstlerin sich in eigener Weise dem Werk, dessen ersten Teil sowie das abschließende Stück wir heute zur Aufführung bringen, nähern kann und muss.

Die Gedichte des belgischen Dichters Albert Giraud um die Commedia dell’Arte- Figur des Pierrot findet Schönberg in der Übersetzung Otto Erich Hartlebens. Das Werk erntet die Früchte der Entwicklung seit dem 2.Streichquartett und weist eine freie atonale Struktur auf, die noch fern der festgelegten Reihen von zwölf aufeinander folgenden Tönen mit den Möglichkeiten der unabhängigen Kombination ebenjener zwölf Töne spielt und hierdurch eine Farbigkeit zwischen Impressionismus und Expressionismus erreicht.

Bereits zehn Jahre vor der Entstehung des „Pierrot“ schreibt Charles Ives im Jahre 1902 sein Largo für Violine, Klarinette und Klavier und beschreitet ähnliche tonal nicht mehr gebundene Pfade. Nicht nur sind die Instrumente großteils unabhängig geführt, auch die beiden Hände des Klavierparts weisen sowohl tonales als auch rhythmisches „Einzelgängertum“ auf, wodurch ein im ersten Moment erahnter G-Dur-Zusammenhang stets in Frage gestellt wird und sein Professor an der Yale University zu dem Ausruf gedrängt wird: „Ives, müssen Sie denn alle Tonarten gleichzeitig benutzen?“ Diese Freiheit steht beispielgebend für die Schaffenskraft dieses mit Schönberg gleichaltrigen diesjährigen Jubilars, der die Laufbahn eines Versicherungsagenten der musikalischen vorzog, um immer  unabhängig von kommerziellen Erfordernissen komponieren zu können.

Wiederum zwölf Jahre nach „Pierrot Lunaire“ entsteht der „Corbeille de fruits“, der „Obstkorb“ des Franzosen André Caplet, dessen erstes Lied „Ecoute mon cœur“ („Horch, mein Herz“) heute erklingt und dessen besondere Besetzung von Gesang mit Flöte den einzigartigen Reiz dieser spätimpressionistischen Komposition ausmacht. Caplet, aus Le Havre stammend und gleichermaßen als Dirigent wie als Komponist erfolgreich, beschäftigt sich zeitlebens mit den unterschiedlichen Ausdrucksweisen und Kompositionstechniken und wird hierdurch einerseits zu einem engen Mitarbeiter Claude Debussys als auch zum Dirigenten der französischen Erstaufführung von Schönbergs fünf Orchesterstücken op.16. Das Gedicht Rabindranath Tagores vergleicht den Klang der Flöte mit dem Zauber der Natur und dem Lächeln auf den Lippen des Geliebten.

Die weiteren Komponisten unseres Programms spiegeln die Entwicklung der Musik des 20.Jahrhunderts in den USA nach Ives und Schönberg wider. John Cage, der selber noch einige Jahre bei Schönberg studiert, zeigt sich in seinen beiden Stücken von ganz unterschiedlichen Seiten. „Five“ ist ein Werk aus der Reihe der „Number Pieces“. Fünf nicht auf ein Instrument festgelegte Mitwirkende spielen genau fünf Minuten größtenteils voneinander ganz unabhängig, der Beginn und das Ende jeder Note sind sehr flexibel, die Musiker sollen sich nicht aufeinander beziehen, andererseits entstehende Gemeinsamkeiten aber nicht bewusst vermeiden. Jede Aufführung ist ein Unikat aus der Atmosphäre im Raum und der dadurch entstehenden Klänge. „Water Music“ hingegen ist eine sehr freie Spielanweisung, die neben dem Klavier zahlreiche „Requisiten“ einbezieht und bei allem improvisatorischen Charakter zeitlich exakt festgelegt ist. Als Besonderheit verlangt der Komponist, dass die Partitur in vergrößertem Zustand für die Zuschauer sichtbar aufgehängt wird.

Ebenso „improvisatorischen“ Charakters scheint Morton Feldmans „Voice and Instruments II“ und ist doch ebenso festgelegt, hier allerdings in zählbaren rhythmischen Strukturen. Feldman, ein enger Freund und Weggenosse Cages, schreibt Stücke bis zu mehreren Stunden Dauer, deren Notation oftmals nur Vorschläge, aber keine dazugehörigen Hauptnoten aufweist. Besonders auch die Kombination der Instrumente, die – wie auch hier – häufig die textlos geführte Stimme mit einbezieht.

Bereits 1925 schreibt einer der Lehrer von John Cage, der Pianist und Komponist Henry Cowell sein Klavierstück „The Banshee“. Diese „bean sí“ („Frau aus den Hügeln“)  bezeichnet in der irisch-keltischen Mythologie eine Todesfee aus der „Anderswelt“, deren Erscheinen einen bevorstehenden Tod ankündigt. Cowell lässt den Spieler nur auf den Saiten des Klaviers spielen, streichend mit unterschiedlichen Stellen des Fingers, auch pizziccato zupfend, immer aus der Tiefe der Saite bis zu einem bestimmten notierten Ton. Dabei bleibt das Halte-Pedal durchgehend gedrückt, wodurch der geisterhafte, schwebende Klangeindruck entsteht, ein für seine Zeit außergewöhnlich experimentell- expressives Werk.

Eine unverzichtbare Interpretin der Musik des 20.Jahrhunderts war die amerikanische Sängerin Cathy Berberian. Von den Opern Monteverdis bis hin zu den Songs Kurt Weills oder der Beatles reichte ihr Repertoire, nicht zuletzt durch die Interpretationen der Werke John Cages oder ihres Gatten Luciano Berio wurde sie weltberühmt. Einige wenige eigene Kompositionen sind überliefert, darunter die „Stripsody“, eine Aufeinanderfolge von Comic-Strip-Zeichnungen dem Alphabet entlang (vom langgezogenen „aaah!“ Des Tarzan-Schreis bis zum flirrenden „zzzzz“ einer umherirrenden Fliege), die der Interpretin wiederum viel eigene Deutung ermöglichen.

Abgerundet wird unser Programm durch eine Kammerensemble- Fassung von Johann Strauß’ unsterblichem Walzer „Wiener Blut“. Die Werke des Walzerkönigs, die die Jugend Schönbergs geprägt haben dürften, sind immer fester Bestandteil der Konzerte der Wiener Schule gewesen, es war Tradition und Bedürfnis, diese den neuen Werken an die Seite zu stellen im instrumentalen Gewand der Besetzungen des „Vereins für musikalische Privataufführungen“, so mag auch heute diese Farbe in unserer Reise von Wien nach Amerika nicht fehlen.

In Zusammenarbeit mit dem Theater der Altmark, Stendal, und dem Gesellschaftshaus Magdeburg 

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